Teilinternat in Dormagen: Talentquellen drohen zu versiegen
Das Teilinternat des TSV Bayer Dormagen hat schon so manchen Topathleten auf seinem Weg ganz nach oben begleitet. Doch wegen der Corona-Pandemie macht sich Leiter Hans-Peter König Sorgen um die Einrichtung. Hätte das Corona-Virus den USA nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht, wären bei der seit Mittwoch laufenden Handball-Weltmeisterschaft in Ägypten gleich vier ehemalige Schüler des Teilinternats am Dormagener Höhenberg dabei gewesen. So sind es dank des inzwischen beim SC Magdeburg aktiven Moritz Preuss (25) und des zum ungarischen Spitzenklub KC Veszprem „ausgewanderten“ Kentin Mahé (29) immerhin noch zwei. Wie der deutsche und der französische Nationalspieler haben auch die „US-Boys“ Patrick (25) und Ian Hüter (23) „quasi von Kindesbeinen an bis zum Abitur das Teilinternat durchlaufen,“ sagt dessen Leiter Hans-Peter König und fügt an: „Das macht uns schon ein bisschen stolz.“
Schließlich sind die Handballer nicht die einzigen Spitzenathleten, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten die vom TSV Bayer Dormagen gebotene Möglichkeit, Schule und Leistungssport miteinander verbinden zu können, genutzt haben. Nicolas Limbach und die für die Olympischen Spiele in Tokio qualifizierten Säbelfechter Max Hartung, Matyas Szabo und Benedikt Wagner führen die „Hall of Fame“ des Teilinternats an. „Das Internat hat mir die Möglichkeit gegeben, Leistungssport und Schule in jungen Jahren parallel erfolgreich zu bestreiten. Gerne erinnere ich mich an die Zeit zurück,“ wird Nicolas Limbach (35), der bisher als einziger Dormagener Säbelfechter bei einer Weltmeisterschaft den Titel im Einzelwettbewerb gewann, auf der Internetseite der Einrichtung zitiert. Ähnlich sieht das Moritz Preuss: „Für mich war das Teilinternat eine herausragende Zeit. Die Sport- und Schulförderung hat mich dorthin gebracht, wo ich jetzt bin. Ich bin sehr dankbar für die vielen Jahre dort.“
Einige Absolventen des Teilinternats
Nicolas Limbach Einzel- und Mannschafts-Weltmeister im Säbelfechten
Max Hartung, Matyas Szabo, Benedikt Wagner Mannschafts-Weltmeister im Säbelfechten
Kentin Mahé Weltmeister und Olympiazweiter (mit Frankreich) im Handball
Moritz Preuss Junioren-Europameister im Handball
Christoph Fildebrandt Olympiafünfter 2012 im Schwimmen
Pate des Teilinternats:
Björn Otto Olympiazweiter 2012 und Deutscher Rekordhalter im Stabhochsprung
Doch trotz allem – berechtigten – Stolz überwiegen bei Hans-Peter König derzeit die Sorgen. „Wir sind ja praktisch zur Untätigkeit verurteilt,“ sagt der Volleyballer aus Leidenschaft, der das Teilinternat seit dessen Gründung im Jahre 1997 leitet, mit Blick auf die Corona-Schutzverordnungen, die das „Kerngeschäft“ der Einrichtung zum Erliegen gebracht haben. Denn ein sportliches Training ist, außer für Angehörige eines Bundeskaders oder eines Profiteams, seit November ebenso nicht möglich wie Hausaufgabenbetreuung und Förderunterricht. „Der erste Lockdown im März hat uns wie ein Hammerschlag getroffen,“ sagt König, „der zweite dann eigentlich noch härter.“ Denn in der Zwischenzeit hatte das Internat wieder seinen Betrieb aufgenommen. „Natürlich unter strengster Einhaltung aller Hygienevorschriften und Abstandsregeln,“ sagt der Leiter, „das hat auch alles gut funktioniert.“
In den Sommermonaten sei das Training so weit möglich unter freien Himmel verlegt worden, wenn auch mit gewissen Anlaufschwierigkeiten: „Wir hatten nicht genügend Lehrkräfte, weil die dringend an ihren Schulen gebraucht wurden,“ sagt König. Das sei jedoch mit Eigenmitteln aufgefangen worden, „ich habe zum Beispiel meine alten Lateinbücher hervorgekramt,“ sagt der Pädagoge. Nach Ende der Sommerferien sei alles wieder seinen geregelten Gang gegangen.
Wann wieder so etwas wie „normaler Betrieb“ möglich sein werde, vermag er nicht abzuschätzen. Deshalb „versuchen wir zurzeit, so viel wie möglich auf digitalem Wege anzubieten,“ berichtet König. Das betrifft sowohl das schulische als auch das sportliche Betreuungsangebot, was je nach Disziplin unterschiedlich gut funktioniert. „Fechter und Leichtathleten können ein Online-Training ganz gut nutzen, bei Handballern geht es noch so eben. Aber unsere Schwimmer brauchen das Wasser, Trockenübungen vor dem Rechner nutzen denen gar nichts,“ sagt Hans-Peter König. Das digitale Angebot wird vor allem deshalb genutzt, „um den Kontakt zu möglichst allen Sportlerinnen und Sportlern aufrecht zu erhalten, auch wenn das das persönliche Miteinander natürlich nicht ersetzen kann.“
Rund sechzig waren es, die vor dem Lockdown im November das Teilinternat nutzten, weitere 18 besuchen das „Schwesterinternat“, das der AC Ückerath an der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule in Nievenheim unterhält. Wie viele davon nach einer Lockerung der Corona-Schutzverordnungen den Trainingsbetrieb wieder aufnehmen, darüber kann König nur spekulieren: „Eine gewisse Fluktuation gibt es immer, weil die einen mit der Schule, die anderen mit dem Sport aufhören. Das sind ganz normale Abgänge. Das Problem: Dem stehen keinerlei Zugänge gegenüber.“
Denn das weite Feld der Talentsichtung, -findung und -schulung liegt seit dem Frühjahr brach. „Dabei waren wir dank der Unterstützung des Landes NRW und dank des Masterplans des Rhein-Kreises in dieser Richtung auf einem sehr guten Weg,“ sagt der Internatsleiter. Und weil der TSV Bayer sich als „Ausbildungsverein“ begreife, treffe ihn das Wegbrechen jeglicher Talentsichtung besonders hart. „Unsere erfolgreichsten Sportler der vergangenen zwei Jahrzehnte sind ja alle in Dormagen zur Schule gegangen und dort als Talente entdeckt worden,“ sagt Hans-Peter König, der die Gefahr sieht, „dass uns durch das Corona-bedingte Sportverbot eine ganze Generation von Leistungssportlern fehlen wird“.
Die finanzielle Seite der Medaille könnte diese Problematik noch verschärfen. Immerhin verursachte der Betrieb des Teilinternats im Jahre 2019 Kosten in Höhe von 190.000 Euro (beim AC Ückerath sind es knapp 50.000 Euro). Dem stehen Einnahmen durch das monatlich zu zahlende „Schulgeld“ sowie durch Zuschüsse – unter anderem durch die Sparkassenstiftung Sport – und der Förderung durch Sponsoren in Höhe von knapp 90.000 Euro gegenüber. Der Rest muss von den Vereinen aufgebracht werden. „Da können wir nur hoffen und appellieren, dass die uns trotz der Corona-Krise erhalten bleiben,“ sagt Hans-Peter König. Das gleiche gelte für die „normalen“ Mitglieder: „Der Breitensport finanziert nun einmal zu einem gewissen Teil den Leistungssport, den sich ein Verein leistet,“ sagt König, „wenn jetzt verstärkt Mitglieder austreten, wackelt das ganze Modell.“
Je nachdem, wie lange der Lockdown des Sports anhält, könnte es ganz zum Einsturz kommen. Schließlich erwarten dem gerade veröffentlichten Sportentwicklungsbericht der Deutschen Sporthochschule Köln zufolge mehr als die Hälfte aller Sportvereine in Deutschland in den kommenden zwölf Monaten eine existenzbedrohende Lage. Da helfen auch eventuelle Erfolge bei einer Handball-Weltmeisterschaft wenig.
Leistungssport in Dormagen : So funktioniert das Teilinternat am Höhenberg
Die sportlichen Schülerinnen und Schüler besuchen eine der herkömmlichen Schulen in der Stadt, werden dort abgeholt und dann in der Einrichtung am Höhenberg betreut. Dafür wird ein monatlicher Betrag fällig.
Das Teilinternat, in einem eigenen Gebäude im Sportkomplex am Höhenberg untergebracht, besteht seit 1997. Zurzeit wird die vom TSV Bayer Dormagen betriebene und mit hauptamtlichen Kräften unter Leitung von Hans-Peter König besetzte Einrichtung von rund 60 Schülerinnen und Schülern von der siebten Klasse bis zum Schulabschluss genutzt. Dazu gehört die Nachmittagsbetreuung für Kinder von der zweiten bis zur sechsten Klasse.
Die Schülerinnen und Schüler besuchen eine normale Schule im Stadtgebiet Dormagen, Partnerschulen sind das Norbert-Gymnasium Knechtsteden, die Bertha-von-Suttner-Gesamtschule in Nievenheim (beides vom Land NRW anerkannte Sportschulen), das Leibniz-Gymnasium, das Bettina-von-Arnim-Gymnasium, die Realschule Hackenbroich und das Berufsbildungszentrum Dormagen. Nach dem jeweiligen Unterrichtsschluss werden sie an der Schule von einem Fahrdienst abgeholt und zum Höhenberg gebracht. „Das erfordert mittlerweile einigen logistischen Aufwand,“ sagt Hans-Peter König, „denn der Schulschluss variiert inzwischen von 13 bis 16 Uhr.“ Am Höhenberg erhalten sie die Möglichkeit zu einem „sportgerechten“ Mittagessen, an das sich Hausaufgabenbetreuung und Förderunterricht anschließen.
Anschließend geht es zum Training in den benachbarten Sporthallen und Außenanlagen. Schwerpunktsportarten sind Handball, Säbelfechten, Leichtathletik und Schwimmen. Monatlich müssen sie dafür zwischen 40 (ein Tag pro Woche) und 105 Euro (fünf Tage pro Woche) Beitrag bezahlen, bei der Nachmittagsbetreuung liegen die Summen zwischen 35 und 105 Euro. Gefördert wird die Einrichtung von der Bayer AG, dem Land NRW, der Sportstiftung NRW, der Stiftung Sport der Sparkasse Neuss und des Rhein-Kreises, der Stadt Dormagen und dem Olympiastützpunkt Rheinland. Die Vorteile des Teilinternats bringt dessen Leiter Hans-Peter König auf den Punkt: „Durch uns gewinnen die Sportler Zeit – und Zeit ist nun einmal das wichtigste Gut eines Leistungssportlers.“